Während wir uns in den letzten Monaten daran gewöhnt haben, dass die Bozner Quästur skrupellos alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, um die Mobilisierungen in der Stadt zum Erliegen zu bringen (Demonstrationsverbote, Anzeigen wie die wegen „Landfriedensbruch”, für die auch andernorts weit verbreiteten Palästina-solidarischen Camps, nonchalanter Einsatz von mündlichen Verwarnungen (avvisi orali) und Stadtverboten (fogli di via)- zuletzt gegen einen Bozner Genossen, der in einer Nachbargemeinde wohnt und viele Verbindungen in die Stadt hat), zieht sie nun eine Maßnahme aus dem Ärmel, an deren Verwendung gegen „politische Kreise” wir uns nicht erinnern können.
In den letzten Tagen wurden zwei Bozner Genossen zusätzlich zu der mündlichen Verwarnung, die sie im März mit der Aufforderung „ihr Verhalten zu ändern” erhalten hatten und der die Androhung beiliegt, bei Nichteinhaltung einen Antrag für eine sorveglianza speciale zu erhalten (eine Art Hausarrest, der nicht durch ein konkretes Verbrechen, sondern durch eine allgemeine „soziale Gefährlichkeit" begründet ist), „zusätzliche Verordnungen” (prescrizioni aggiuntive) zugestellt. Das Anti-Mafia-Gesetzbuch (codice antimafia) sieht neben grotesken Verboten, die sich offensichtlich auf eine ganz andere Sparte von Personen beziehen (wie das Verbot des Besitzes von „gepanzerten Transportmitteln”), auch das Verbot des Besitzes oder der Verwendung von „Computerprogrammen und anderen Instrumenten zur Verschlüsselung von Gesprächen und Nachrichten” vor. Eklatant dagegen ist der Vorschlag einem Genossen ein gerichtlich zu überprüfendes zweijähriges Verbot des Besitzes und der Verwendung von Mobiltelefonen, anderen internetfähigen Geräten und jeder Art von sozialen Netzwerken aufzuoktroyieren. Dem anderen Genossen wird dagegen mit dem Trick, ihm die Nutzung nicht internetfähiger Mobiltelefone zu gestatten, direkt und ohne Überprüfung des Gerichts der Besitz oder die Nutzung von „Smartphones, Tablets, Laptops, die Datenverbindungen über WI-FI oder mit SIM-Karte ermöglichen” untersagt, wobei die Maßnahme keinen zeitlichen Rahmen hat und somit potenziell lebenslänglich ist. Bei Verstößen gegen das Verbot drohen „Freiheitsstrafen von ein bis drei Jahren”, sowie Geldstrafen von mehreren Tausend Euro und die Beschlagnahmung der Geräte, die „der Polizei übergeben” werden.
Was sind die (zumindest offiziellen) Gründe für eine solche Maßnahme, abgesehen davon, dass man sein Verhalten nach der mündlichen Verwarnung nicht geändert hat? Im Fall des erstgenannten Genossen sind die Verbreitung beleidigender Botschaften gegen den Quästor Paolo Sartori (die von der Quästur und den komplizenhaften Zeitungen in „Morddrohungen”
umgewandelt wurden) und allgemein "verfassungsfeindlicher" (als „subversiv” definierter) Botschaften sowie die Aufrechterhaltung von Kontakten mit Genossen:innen inn- und außerhalb der Provinz als offizielle Gründe für den avviso orale aggravato genannt. Im Fall des zweiten Genossen sind die offiziellen Gründe dagegen die „Organisation” und „telematische Aufforderung” zu Demonstrationen, bei denen „systematisch” gegen die Vorschriften der Quästur verstoßen und Straftaten begangen würden: Praktisch betrachtet die Quästur die Organisation und Bekanntmachung von Initiativen, die zudem regelmäßig bei ebenjenen gesetzeskonform angekündigt wurden, als Teil eines kriminellen Plans, den sie aber nicht vor Gericht beweisen muss, sondern direkt „Maßnahmen ergreift, die geeignet sind, die Fähigkeit zur Begehung von Straftaten zu verringern”. Die Vorstrafen, die mit besonders besorgtem Tonfall angeführt werden, sind einerseits die Demonstration, die durch den Bahnhof führte, um das Abkommen zwischen Leonardo und Rete Ferroviaria für Militärtransporte anzuprangern, (was eine vorübergehende Unterbrechung des Zugverkehrs zur Folge hatte und wofür ein Genosse aus Rovereto ein vierjährigen Stadtverbot erhielt) sowie ein solidarischer Gruß für die Gefangenen im Bozner Gefängnis während eines Protestklopfen erwähnt, was die Inhaftierten angeblich „aufstachelte”, „mit dem realen Risiko, Krawalle und Unruhen auszulösen”, wie sie in anderen Gefängnissen vorkamen.
In Bozen sind wir seit dem Amtsantritt von Quästor Paolo Sartori mit einem noch nie dagewesenen Szenario konfrontiert: Ein neuer Ortsvorsteher, der gleichzeitig den Bürgermeister, die Mehrheits- und Oppositionspolitiker:innen, das Gericht und die Journalist:innen ersetzt und einen Verwaltungskrieg (mündliche Verwarnungen, Sonderüberwachungen, Ausreiseverfügungen, Ausweisungen, Entzug von Aufenthaltsgenehmigungen, städtischen Daspos…) gegen Marginalisierte und dissidente Stimmen entfesselt über den er in fast täglichen Pressekonferenzen selbstgefällig berrichtet und es dabei schafft, selbst zum Protagonisten von Gasthauskommentaren zu werden („Dieser Quästor hat Eier”, …).
Jenseits der furchterregenden Situation in Bozen muss man jedoch die allgemeinere Bedeutung solcher Maßnahmen begreifen: Mit dem Näherrücken der unmittelbaren Kriegsgefahr, die zu Aufrüstung und Einigkeit verpflichtet, kann der Staat nicht einmal mehr ein dissonantes Wort dulden. Zu diesem Zweck wird so weit gegangen, die Nennung des Begriffs Zionismus zu verbieten, wie es kürzlich in Como geschehen ist. Ein solches Vorgehen erklärt, warum sich immer mehr Ermittlungen wegen Terrorismus allein auf die Verbreitung von Schriften beziehen. Ohne diesen Entwicklungen real entgegenwirkenden Kräften, kommen die „demokratischen Gewährleistungen" immer mehr unter Beschuss; der Staat zeigt jeden Tag mehr sein wahres Gesicht.
Es mangelt nicht an Modellen, um einen Blick in die nahende Zukunft zu erhaschen: von der deutschen Demokratie, in der Palästina-Solidarität per se schon kriminalisiert wird, hin zur israelischen, die völlig militarisiert und auf dem Willen zur Vernichtung einer überschüssigen Bevölkerung aufgebaut ist, oder der ukrainischen, die in ganz Europa Jagd auf die eigene Jugend macht, um sie als Kanonenfutter für die NATO an die Front zu schicken, bis hin zu China, wo die Digitalisierung ein Leben anhand eines Punktesystems etabliert hat, in denen diejenigen, die nicht ständig die Einhaltung sozialer Normen vorweisen können, automatisch von jeder Aktivität ausgeschlossen werden können.
Angesichts eines Horizonts, der dunkler nicht sein könnte, muss man, um nicht endgültig vernichtet zu werden, auf die mögliche, unerwartete Verwundbarkeit eines scheinbar unerreichbaren Feindes setzen, indem man die Kämpfe an der Seite des palästinensischen Widerstands gegen den Krieg, gegen die soziale Kontrolle wieder aufnimmt, ausweitet und intensiviert…
Oder um es mit Blick auf unser kleines Bozen zu sagen: Die Quästoren werden vergehen, die Leidenschaft für die Freiheit bleibt bestehen.